Samstag, 16. Juli 2011

Uhrwerkzement

"Mundschenk!" 07:15-07:45h
"Den restlichen Tee kannst Du bitte in die Küche stellen!" 07:45h
"Kannst Du mir bitte die Tropfen geben?" 09:30h
"Was wirst Du denn heute kochen?" 10:30h
"Ich kann nicht mehr." 00:00-23:59h
"Machst Du bitte das Fenster zu?" 13:00 und 18:00h
"Machst Du uns denn gleich bitte einen Kaffee?" 15:00h
"Ich kann nicht mehr. Ich geh ins Bett." 17:30h
"Machst Du mir denn bitte noch ein Bütterken?" 18:00h
"Gute Nacht! Schlaf Du auch gut und habe schöne Träume." 19:00h



Dass dann "mein" Tag beginnt, dass er erst fünf Stunden später endet, diese Idee erreicht sie nicht. Im Uhrwerk ihrer Routinen gibt es die Welt da draußen nicht. Sie nimmt sie schon wahr. Durch die Zeitung. Die stündlichen TV-Nachrichten. Besonders schrecklich das ZDF-Morgenmagazin, am schrecklichsten, wenn Frau Hayali und Herr Jobatey moderieren. Genauso so schrecklich, wenn ein ehemaliger FAZ-Redakteur mit der Nachrichtenlage kuschelt. Das ist mein Zeitfenster des frühen Morgens, an dem ich Facebook-DJ spiele, unter den dicht abschließenden Kopfhörern die Musiklieferungen von Thomas Said, Henri, Pseu und Freunden aus aller Welt probehöre, dann dringt nur der Ruf nach dem Mundschenk durch, der ihr die nächste Tasse Tee einschenken möge, wofür sie selbst zu schwach ist. Gleich nach meiner Ankunft habe ich ihr eine neue große Teekanne gekauft. An die bin ich morgens gekettet. "Mundschenk!"

Im Uhrwerk wohnt ein freundlich bekleideter Befehl, der keinen Widerstand duldet. Meine Frage, ob es Zweifel daran geben könne, dass gleich der Kaffee auf dem Tisch stehe, das Bütterken ans Bett gebracht werde, erreicht sie nicht. Der Zweifel, das Fatamorganagefühl, dass diese Person an ihrer Seite ruckzuck wieder weg und sie wieder allein sein könnte, dieser Zweifel ist groß.

Neunzehn Jahre verwitwete Einzelhaft haben ihr Uhrwerk zementiert. Die darin gewachsene Unruhe ist unstillbar.

Bild von simpologist mit creativ commons-Lizenz

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