Freitag, 29. Juli 2011

Ich wird ein Anderer

Rimbaud. Digital ID: 2006249. New York Public Library

Vorgestern hat sie zum ersten Mal von sich aus davon gesprochen. Dass sie im Begriff sei, ihren Verstand zu verlieren. Welche Angst ihr das bereite. Wie verzweifelt sie sei. Wie ungewiss über die Zukunft. Mit dem bescheidenen Trost, darüber nachdenken, sich selbst beobachten zu können. Second order within disorder.

Der Zeitpunkt war unglücklich. Ein Freund hatte mir meine Post aus Berlin mitgebracht. Wir trafen uns für zwei Stunden, für ein schnelles Abendessen in D. Als ich zurück komme, sitzt sie reisefertig im Wohnzimmer. Wo wir denn blieben? Sie müsse nun ihre Wohnung verlassen. Oder ob es nicht möglich sei, noch etwas zu bleiben?

Mit Mühe beruhige ich sie, bewege sie dazu, ins Bett zu gehen. Lass mich nicht allein! Mit den Worten verabschiedet sie sich von mir.

Wie ein lautloses Thai-Longtailboot von Strand zu Strand, zu den vom Meer der Demenz angenagten Inseln ihrer Erinnerungen. Sie selbst ihr eigener Postgote. So nannte mein Vater den Briefträger. Ehrendes Andenken.

Sie hat eine erstaunlich akkurate Selbstdiagnose gestellt. In der milden Form ihrer späten Demenz (Lewy-Körperchen) gehen nicht alle kognitiven Funktionen verloren.

Ihr Ich wird nun ein Anderer.

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