Sonntag, 5. Mai 2013

Abgefahren

Ich fahre mit meiner Mutter zum Bahnhof. Wir wollen verreisen. Mit unbekanntem Ziel. Sie scheint ungeheuer gut gelaunt. Flink wie ein Wiesel entert sie den Zug - und hast Du nicht gesehen, fährt der ab.

Noch bin ich ratlos, was ich tun soll, als ich kurz aufwache und mich frage, ob der Traum das Ende des Trauerns um sie bedeutet. Sie ist am 6. Oktober 2012 gestorben. Auf dem Bahnhof in Düsseldorf, auf dem ich zwei Tage zuvor auf dem Weg nach Köln einen Zwischenstopp hatte, erhielt ich einen Notruf ihres Hausarztes. Er habe sie gerade ins Krankenhaus eingewiesen. Ich treffe dort eine Viertelstunde vor ihr ein. Die Diagnose ist klar. Ein Gefäßverschluss im Bein. Der Arzt sagt mir, man müsse das Bein sofort amputieren. Ich sage ihm, dass das nicht in Frage kommt. Er lässt uns kurz allein.

Ich flüstere ihr ins Ohr: "Dir wird nichts mehr abgeschnitten." - "Bravo!" flüstert sie. Das war ihr letztes Wort.

Die folgenden 24 Stunden verbringe ich im Krankenhaus an ihrer Seite. Am Abend zieht die   Rollnacht draußen am Rheinufer vorbei. Das Heulen, Jaulen und Wummern der Lautsprecher verbindet sich mit Schreien aus den Nachbarzimmern zu einem memento mori.

36 Stunden später war sie tot.