Du hast so gern getanzt.
Du bist auch gern schön gewesen. Dein Leben wäre so wunderbar verlaufen, hast du manchmal gesagt. Der Mann, den du mit 13 Jahren anfingst zu lieben, erzählte irgendwann, er hätte dich nie richtig erzogen. Immer hast du Angst gehabt, dass deine Mädchen nicht wiederkommen, wenn sie fort gingen. Du konntest keine Martinshörner ertragen, weil du dann sicher warst, eine von uns wäre tot. Wenn du früher traurig wurdest, bist du Rolltreppe gefahren, um dich abzulenken. Zeitlebens hattest du zuwenig Geld, weil man nicht auszugeben wagt, was einem zugeteilt wird. Deshalb willst du heute noch, dass andere das, was dir gehört, verwalten. Bevor Vater starb, wußtest du nicht, dass es mehr als genug sein würde. Deine Handschuhe, die du zum Presseball 1966 in Bonn trugst, gingen dir bis zum Oberarm und dufteten nach Elocar Herb. Etwas anderes konntest du dir nicht leisten. Als ich zehn Jahre alt war, schenkte ich dir dein erstes Minikleid von Woolworth. Es hatte die Farbe von reifen Orangen, wie die erste Apfelsine, die dir 1945, als du selbst erst zehn warst, ein schwarzer GI gab, dessen Truppe euer Wohnzimmer besetzt hatte. Ich weiß, wie oft du versucht hast, mit deinen Töchtern zu basteln und wie selten dir das gelang. Du wurdest wütend, wenn etwas schief ging. Dinge kaputt gehen sehen konntest du nie. Einmal haben wir zusammen ein Lebkuchenhäuschen zustande gebracht und es gab eine Zeit, in der du unsere Wohnung in ein Gewächshaus für riesige, knallbunte Kreppblumen verwandeltest. Du warst das erste, was wirklich mir allein gehörte, hast du einmal zu mir gesagt. Mit dir bin ich an allen Orten gewesen, die du fürchtetest. Frauen, mit denen du hättest teilen können, betrachtetest du mißtrauisch. Keine war schöner als du. Wegen der Stricknadel einer Engelmacherin wärest du fast gestorben, fünf Jahre bevor Romy Schneider und Senta Berger auf dem Sterntitel bekannten, auch sie hätten abgetrieben. Du hörtest auf, für die Zeitung deine Alltagsgeschichten zu schreiben, als Vater nicht mehr aushielt, dass du mehr Leserbriefe bekamst als er. Deine Mutter verstand nie, wieso du nicht stricken lernen wolltest. Eure erste Einrichtung hast du für euch verdient. Du schicktest meinem Vater dein Haushaltsbuch an den Studienort. Er schrieb zurück, du dürfest dir das nächste Paar Strümpfe von deinem Geld erst in drei Monaten leisten. Während meiner Geburt tipptest du mit der Schreibmaschine auf dem Bauch im Kreißsaal noch Berichte für den Chefarzt. Du hättst nie offen Nein gesagt. Du hast so gern gelacht und ebenso schnell geschlagen, wenn dir die Nerven dünn wurden. Später wusstest du nie, wieso du weinen musstest. Deine Mutter hat dir das Gesicht geschwärzt, als die Russen kamen. Seither hattest du Angst vor der Dunkelheit. Neulich sagtest du, dass du nicht verstehst, wieso all das, was einen Menschen ausmacht, irgendwann plötzlich mit ihm verschwindet. Für dich ist nichts verloren. Manchmal sprichst du nachts im Bett mit meinem toten Vater, mit dem vor Jahren deine Welt untergegangen ist. Bis dahin kannte ich dich nicht ohne Lippenstift. Du hast mir beigebracht, wie man sich schminkt, sich anständig benimmt und jemanden lieb hat. Deinetwegen weiß ich alles und mehr über das Verrücken der festen Dinge.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen