Ich habe mein Leben zusammengefaltet auf Herzgröße.
Geblieben ist ein kleiner, schlagender Punkt. Merkwürdig, wieviel Wut überlebt. Meine Dämonen wohnen in Mutters Wohnzimmer, wo ihr Sofa zum Thron geworden ist. Liegen und warten, dass sie zum Essen, Fernsehen, Ausgeführtwerden kommen darf. Wir wohnen in einem Universum von Modalverben. Dürfen, können, sollen, müssen. Ihr Königreich der Krankheit ist begrenzt. Verzeihbar, dieses letzte Imperium, was bleibt.
Man hat sie psychisch und physisch durchleuchtet, Endlichkeit diagnostiziert, keine Hoffnung auf Besserung gemacht. Das war, bevor wir kamen. Seitdem verschieben sich Kontinente überall. Sie ist nicht mehr die Feder, von jedem Luftzug ins Nichts geweht. Nähe stärkt für Aktionen. Ihr Widerstand (vor allem gegen Waschen, Essen, Hinausgehen) schwindet. Der Protest gegen Fremdbestimmung hingegen wächst. Manchmal ist Krieg. Und weil wieder Krieg sein darf, entsteht Frieden, wo vorher große Fragezeichen tanzten. Wir kämpfen und lieben. Wir zerren und drücken uns. Es ist schwer, ein guter Mensch zu sein.
"Da mussten wir alle mal durch!" konstatiert meine Tante, eine Bäuerin, am Telefon. Ich habe den Verdacht, dass das so nicht mehr stimmt. Genau zwei Menschen, die ich kenne, pflegen ihre Mütter. Mein Berlin ist eine Erinnerung an 23 Jahre Freiheit und praktischere Lösungen. Das Ruhrgebiet die Rückkehr zu mir. Man lässt Menschen nicht allein. Aber ich habe ein Stiefproblem, seit ich die Rabenmutter meiner Mutter bin. Die Dinge, die ich ihr antue, werden zu Zeugen der Anklage gegen mich. Ich zwinge zur Teilnahme am Dasein. Zwang hat vieles verbessert. Meine alten, freiheitlichen Prinzipien sind verloren. Die Welt verkehrt sich, seit ich an ihrer Seite um sie Palisaden der Kontrolle errichte.Manchmal schaut Mutter mich eigenartig an, wie eine böse Botin von etwas, was nicht endet.
Manchmal wecken mich auch nachts die sachten Schatten ungestellter Fragen:
Was wäre gewesen, wenn ich sie in Pflege gegeben hätte? Dann wäre ich tot, sagt sie.
Man nennt es Liebe. Man schüttelt den Kopf. Man tut, was zu tun ist. So gut man eben kann.
Ich habe mein Leben zusammengefaltet auf Herzgröße. Nun schlägt es Mutter ins Gesicht.
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