
Mittwoch, 29. Juni 2011
Dienstag, 28. Juni 2011
Keep passing the open windows

Alles war lange potenziell tödlich. Einen Fön besitzt sie nicht mehr. In Mutters Kopf geht er fatale Verbindungen mit Wasser ein. Irgendwann verbannte sie auch den Toaster. Wochen später lagen ihre Küchenmesser plötzlich unten im Hof. Schmale, zarte Morsezeichen, die nur an Sonnentagen blinken. Save Our Souls. Sie hat sie einfach hinausgeworfen. Niemand sammelte sie ein. Sie erinnern alle an alles. Auch die Nagelschere ist (wer weiß wohin) verschwunden. Es blieben die Fenster.
Kurz nach unserem Herzug befahl sie, überall Kindersicherungen anzubringen. Wenig später erwachte ich, weit nach Mitternacht, von ihrem Murmeln aus der Küche. Sie erklomm gerade mein Fensterbrett. Danach forderte sie, ihr auch den Schlüssel zu unserer Wohnung wegzunehmen, der bewies: Du gehörst zu uns. Entweder das. Oder verbarrikadiert auch diese Fenster. Sie bettelte darum. Wir nahmen den Schlüssel. War das der Tag, an dem ich geweint habe? Mein abgebrochenes Leben ging mit anderen Sujets als mir wieder auf. Über einem Horizont, bestehend aus vier Stockwerken Angst. Der Sucht zu fliegen. Der größten Hoffnung und tiefsten Panik meiner Mutter.
In diesen Momenten, vor einem Jahr, sah sie immer aus wie zwei Personen. Eine hackte der anderen die Hand ab, welche sie verletzte. Jetzt, da diese Phase vorbei ist, da sich Gutmenschentum wieder lohnt, da Dinge sich millimeterweise, im Kriechtempo, verbessern, lacht sie manchmal. Sie ist so einfallsreich. Entschieden im Wollen und Versagen. Ihre Wahrheit, erschreckend unzerbrechlich. Hatte sie nicht immer solche Angst vor sich? Sie wollte doch sonst nur fortlaufen. Nun schützt sich Mutter vor ihrer Fantasie. Erstaunt betrachtet sie, wie es - wie sie - war. Größer kann kein Trost sein. Keep passing the open windows...*
* John Irving, The Hotel New Hampshire, 1981
Montag, 27. Juni 2011
Katzen als Joker
Als ich im Januar zu meiner Mutter zog, in die Fünfquadratmeterzelle neben ihrem Schlafzimmer, konnte es vorkommen, dass sie mich mit verschwörerisch leiser Stimme zu sich rief. Sieh mal, sagte sie dann leise, da ist sie wieder.
Sie erhält nächtliche Katzenbesuche. Manchmal auch tagsüber, als Trostpreise. Mal huschen sie zu ihr ins Bett. Oder sie begnügen sich mit einem Platz auf dem Rollstuhl. Sie schnurren vor sich hin. Oder sind gemessen auf Abstand bedacht.
Aus dem trivialen Blickwinkel des Sohns sind die Katzen eine gebrauchte Windel, eine zu bügelnde Hose, ein pollenverschmierter Kastanienast.
Die Katzen lenken ihren Blick in eine andere Welt. Manchmal entstehen da Filme, oft obszönen Inhalts (und ob das szön ist ...), im Leben der Anderen, auf der anderen Straßenseite, bei der japanischen Großfamilie.
Meine Mutter kennt Shozo Numa nicht, den Autor des Romans Yapoo, ein mild in die Zukunft projizierter Science Fiction, in dem eine Herrenrasse über ihr Glück gebietet. Zur Vervollkommung ihres Glücks dient eine Sklavenrasse, begabt, ihre Körper jedwedem Wunsch ihrer Herren anzupassen. Ich stieß auf Yapoo, als ich an einem kühlen Herbstabend meinen japanischen Freund bat, meine Decke zu sein.
Er schrie entsetzt-begeistert: Yapoo - iiiäää! Und erzählte mir die story des Romans.
Die Katzen sind das Yapoo meiner Mutter, Joker und Platzhalter einer ausfransenden Realität, die sich bereit hält, Zeugen ihres Daseins, lockende Erinnerungen an Pinki, den Kater des Vaters ("erst der Kater, dann der Vater" - bedichtete Vater den Tod seines Katers, dem bald der eigene folgte) und ihren Kater Mikesch.
Einspruch zwecklos. Sie sind da.
Sonntag, 26. Juni 2011
...draußen vor der Tür

Draußen, vor der Tür.
Hunger!

Jeden und jeden Tag.
Leichtigkeit des Seins
Die Idee ist so einfach. Beiseitelegen, was auf Dich zurast.
Donnerstag, 23. Juni 2011
Verloren gehen


Das unterstrichene Datum und die Notierung fand ich heute Nachmittag auf der Lokalseite der Tageszeitung. Ein Auto-Alarm. Meine Mutter befürchtet, ihr Gedächtnis zu verlieren.
Das Datum, die Zeitung, die stündlichen Nachrichten, die Essenszeiten - die Routinen im Alltag der fast 89jährigen Frau zerfransen, geben keinen Halt mehr. Wo bin ich? Was für einen Tag haben wir heute? Wann kommt die Pflegerin?
In ihrer Mimik mischen sich Grimm, Trauer, Verzagtheit. Weil das so ist, will sie nicht drüber reden.
Du gehst nicht verloren!
Abonnieren
Posts (Atom)